BestenListen 2007

PRO-REGIO-ONLINE BESTENLISTE

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BESTENLISTE

- Die wichtigsten Bücher
zum Thema Ländlicher Raum -

 

Unsere BESTENLISTEN 2007

 

Die BESTENLISTE - Nr. II/2007

(Herbst 2007)

Platz 1

Rudolf Grothues: Lebensverhältnisse und Lebensstile im urbanisierten ländlichen Raum. Analyse anhand ausgewählter Ortsteile im münsterländischen Kreis Steinfurt. Westfälische Geographische Studien, Band 55. Münster 2006. (ISBN 978-3-402-06291-3)
B
ezugsadresse: Geographische Kommission für Westfalen, Robert-Koch-Straße 26, D-48149 Münster

Die große Leistung dieser Befragungsstudie besteht darin, dass sie sich auf der Höhe der Zeit befindet und nicht mehr von den immer noch umherschweifenden Landklischees ausgeht, sondern von der Realität eines in weiten Teilen gesellschaftlich und kulturell „urbanisierten“ ländlichen Raums, der nur noch im Plural städtisch gewordener Lebensstile zu denken ist und es daher weder (was noch nie der Fall war) DEN ländlichen Raum gibt, noch DIE ländlichen Lebensverhältnisse und DEN ländlichen Lebensstil. Historische Sozialschichten und Lebensmilieus haben sich mit städtischen Mustern durchsetzt und zu neuen Lebensstiltypen modernisiert, in denen sich selbst die bunten Provinzoriginale und die dorfüblichen Exzentriker als auch die alternativkulturellen Ansätze der 1970er Jahre aufgelöst haben. Anhand von sechs Lebensstiltypisierungen (die „Häuslich Passiven“, die „Vereins- und kirchlichen Aktiven“, die „Bürgerlich Aktiven“, die „Postmateriellen“, den „Freizeitorientierten Aktiven“ und den „Kulturellen Traditionalisten“) wird die sozio-kulturelle Pluralisierung der Lebensstile an verschiedenen Parametern (Versorgungs- und Ortzufriedenheit, lokale Integration etc.) dargestellt und werden konkrete Handlungsempfehlungen aus dieser Analyse an die zukünftige Kommunalpolitik formuliert. Das notwendige Zwischenstück, nämlich die Frage was die „neue lebensstilistische Unübersichtlichkeit“ im ländlichen Raum nun praktisch und methodisch für die lokale Ortspolitik bedeutet (z.B. in Bezug auf neue Beteilungsformen, auf mehr Mitsprachemöglichkeiten, einen höheren Moderationsbedarf usw.) bleibt leider unbehandelt.

Die Studie leistet wichtige Pionierarbeit an der Nahtstelle zwischen der wissenschaftlichen Wahrnehmung der neuen teil-urbanisierten Realität des ländlichen Lebensalltag und den daraus resultierenden Konsequenzen für ein vielschichtigeres Dorfmarketing. Der gewählte Untersuchungsansatz könnte für viele Dörfer vorbildhaft sein und die erstellten sehr umfangreichen Befragungsraster bieten viel Material zur Selbstanalyse der „gefühlten Dorf(lebens)qualität“ durch die Dorfbürger.

Für alle Dorfforscher und in der Dorfentwicklung aktiven Personen ist dieses Buch daher wärmstens zu empfehlen und steht daher zurecht auf Platz 1 unserer BestenListe.

 

Platz 2

Peter Wirth, Marc Bose (Hrsg.): Schrumpfung an der Peripherie. Ein Modellvorhaben - und was Kommunen daraus lernen können. Oekom-Verlag, München 2007. (ISBN 978-3-936581-010-6)

Die Schrumpfungsthematik ist für die Neuen Bundesländer inzwischen das durchgängige Paradigma, auf dem heute Zukunftsentwicklung überhaupt diskutiert wird. Bisher standen schrumpfende Städte- und Kleinstädte im Mittelpunkt der Analyse. Mit dieser Veröffentlichung rückt die Peripherie in den Fokus der Forschung. Am Beispiel der Problemregion „Zentrales Erzgebirge um Johanngeorgenstadt“ (südlich von Chemnitz) wird das schwer verdauliche Problem der Schrumpfung in einer regionalen Fallanalyse in seinen ganzen Wirkungsketten und Perspektivprognosen detailliert untersucht und beschrieben, was dazu beiträgt, der unausweichlichen Schrumpfungsansage ihren Schrecken zu nehmen und den konkreten Handlungsrahmen, mit ihr umzugehen, genauer zu definieren.

Damit leistet diese Studie Pionierarbeit, denn sie durchbricht die bloße Beschreibungsebene und zeigt auch konkrete Lösungsansätze als mögliche „Regionale Anpassungsstrategien“ im Umgang mit der Schrumpfung auf. Diese vorbildliche Regionalanalyse bietet wertvolle Hilfestellungen und Anregungen für alle Akteure in von Schrumpfung betroffenen Gebieten und gehört daher zurecht in unsere BestenListe.

 

Platz 3

Andreas Willisch: Im Schatten des Aufschwungs. Von Landarbeitern, Genossenschaften und ihren Mitgliedern. Ergebnisse einer Gemeindestudie. Herausgegeben vom Thünen-Institut e.V., Berlin 2005. (ISBN 3-936382-36-0)
Direktbezug: Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Forschung und Publizistik mbH. Reihe Berliner Debatte 2005, Postfach 58 02 54, D-10412 Berlin

Nach der Wende grassierte die soziologische Standardformel, dass mit dem Ende der DDR viele der Alltagsstrukturen „weggebrochen“ sind und viele mit in diesen gesellschaftlichen Absturz gerissen haben. Wo sind diese geblieben ? Sind die so „Weg-Gebrochenen“ wirklich „weg“ oder nur unsichtbar gemacht ?

Die hier vorliegende Gemeindestudie hat sich auf den Weg gemacht, die „Abgestürzten“, die ein Schattendasein im Glanze des Aufschwungs fristen und sich in ihrem gebrochenen Alltag kampf- und krampfhaft um Normalität und Kontinuität bemühen, aufzuspüren und als „abgesunkenen Kulturschatz“ einer untergegangenen Lebenswelt zu bergen. Am Beispiel der Gemeinde Tranlin wird eine solche Sozialreportage aus Deutschland „ganz unten“ und an der „räumlichen Peripherie“ eines Dorfes in Mecklenburg-Vorpommern geliefert, die sich noch die Zeit und die Worte leistet, den gesellschaftlichen Bruch in den Alltagsbiographien zu verstehen und auch zu betrauern und darin noch das einzig übrig gebliebene Privileg der „Abgehängten“ hochhält: Die Muße zum Nachdenken und Gedankenreden.

Die erste große „soziale Schrumpfung“ hat mit diesen Lebensumbrüchen der Nach-Wende begonnen und sie wird heute überdeckt von der „demographischen Schrumpfung“. Die bereits gewesene wird vergessen und verdrängt, die prognostizierte gefürchtet.

Wer über die Alltagsrealität der Dörfer im strukturausgetrockneten Land etwas erfahren und wirklich wissen will, warum dieser Zustand die Rückbesinnung auf das alte DDR-Land so stark macht, findet in diesem Buch eine Antwort. Ein wirklich starkes Buch, dessen Herstellung Kraft gekostet hat, das aber genau dieses Produktionskraft quasi in ihm gespeichert hat. Sehr lesenswert und ein großer Gewinn für unsere BestenListe.

 

Platz 4

Peter Dehne (Hrsg.): Gedanken zur Entwicklung ländlicher Räume in Mecklenburg-Vorpommern. Ergebnisse der Arbeitsgruppe "Nachhaltige Regionalentwicklung in den Regionen" des Wissenschaftlichen Beirats des Umweltministeriums Mecklenburg-Vorpommern. Schriftenreihe A, Band 23 der Hochschule Neubrandenburg. Neubrandenburg 2006. (ISBN 3-932227-73-5)

Es geht also doch, dass die Wissenschaft sich praxis- und zeitnah auf die wirklichen Strukturprobleme der ländlichen Räume einlässt und dabei weder an sprachlichem Profil noch an analytischem Niveau verliert. Die in diesem Buch vorgestellten Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Nachhaltige Entwicklung von Regionen“ des Wissenschaftlichen Beirates des Umweltministeriums Mecklenburg-Vorpommerns ist der lebendige Beweis dafür, was eine interdisziplinär zusammengestellte Arbeitsgruppe, die zielorientiert arbeitet und auch Lösungsstrategien sucht, zu leisten im Stande ist.

Ihre Aufgabenstellung, einen politischen Handlungsrahmen für Nachhaltige Regionalentwicklung unter Schrumpfungsbedingungen in verständlicher Sprache zu definieren, löst dieses Veröffentlichung vorbildhaft und kann daher nicht nur zur Nachahmung empfohlen werden, sondern verdient zurecht ihre Platzierung in unserer BestenListe.

 

Platz 5

Albrecht Steinecke: Tourismus. Eine geographische Einführung. Das Geographische Seminar. Bildungshaus Schulbuchverlage Westermann Schroedel Diesterweg Schöningh Winklers GmbH, Braunschweig 2006. (ISBN 978-3-14-160285-2)

Der Autor ist ein ausgewiesener Experte im Bereich „Tourismus“ aber auch – wie das Buch zeigt – ein hervorragender Didaktiker, dem es gelingt, das Thema für alle Interessierten und Studenten sehr anschaulich aufzubereiten. Das Buch steht damit in der positiven Tradition der niveauvollen Reihe von „Westermanns Geographischem Seminar“ und besticht durch seine Materialfülle, gut gewählte Schaubilder und sehr übersichtliche Gliederung. Inhaltlich besonders hervorzuheben ist das eigenständige Kapitel über den „Tourismus im ländlichen Raum“, das nicht nur der Tatsache gerecht wird, dass im Grunde der Anteil des Tourismus, der im ländlichen Regionen realisiert wird, den Hauptanteil im Tourismusgeschäft darstellt, sondern auch zeigt, dass der ländliche Raum heute viel mehr bieten muss als „Landschaft pur“, um sich im globalen Tourismusangebot neu und offensiv zu positionieren.

Das Buch ist als Basisliteratur für alle am Thema Tourismus Interessierten zu empfehlen und deshalb in unserer BestenListe platziert.

 

Platz 6

Joachim Grube: Lebensraum Dorf. Methoden, Inhalte und Ergebnisse der Dorferneuerung. Bauwerk Verlag GmbH, Berlin 2006. (ISBN 3-89932-146-4)

Das hier vorliegende umfangreiche Werk ist ein Produkt der „alten Ingenieurschule“, deren Lehr- und Praxisziel es war, ein „Gesamtwerk zur Dorferneuerung“ vorzulegen, das quasi alle Aspekte der Planung, der Architekturgeschichte, der dörflichen Arbeitsplätze, der sozialen und ökologischen Infrastruktur, des dörflichen Wohnens und des sozialen Umfeldes erfasst und einbezieht. Und es ist ihm tatsächlich auch gelungen ein solches „Universal-Handbuch“ zu verfassen, dessen Praxishintergrund konkrete Fallbeispiele aus der Dorferneuerung in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt sind. Die Stärke dieses Buches liegt in der Fülle des Materials, der Einzelskizzen, der Erhebungsmethoden und Praxisbeispiele. Seine Schwäche in der klassischen Selbstüberschätzung vieler Dorfentwickler, alle Aspekte der Dorfentwicklung (Struktur-, Kultur- und Sozial-Entwicklung) ohne interdisziplinäre Fachhilfe „mitabdecken“ zu können.

Für alle, die sich mit Dorfentwicklung beruflich und in der Praxis beschäftigen ist dieses Band zu empfehlen, weil er gegen den heute üblichen Trend der Spezialisierung sich der Mühe ausgesetzt hat, die vielen Teilaspekte der Dorferneuerung wieder zusammenzuführen und daher als ein gelungenes Produkt der „guten alten, ganzheitlichen Ingenieurskunst“ herausragt und dadurch für unsere BestenListe entdeckt wurde.

 

Platz 7

Kunstarchiv Beeskow (Hrsg.): Ein weites Feld. Landwirtschaft in der Malerei der DDR. Ausstellungskatalog.
Bezug: Kunstarchiv Beeskow, Landkreis Oder-Spree, Breitscheidstraße 7, D-15841 Beeskow

Der gewählte Titel erscheint geradezu programmatisch: Die Bauern- und Landwirtschaftmalerei der DDR ist nicht nur von der Großflächenlandwirtschaft her „ein weites Feld“, sondern auch von den Bildmotiven und –darstellungen her so weit gespannt, dass die verkürzte Formel von der „sozialistischen Auftrags- und volkseigenen Schollemalerei“ in der Realität nicht greift. In der frühen Phase der 1950er Jahre überwiegen die Einzeldarstellungen (was ja der damals vorherrschenden privatwirtschaftlichen Bauernform auch entsprach) der „Frau bei der Feldarbeit“, des „Bauern mit der Sense“, der „Jungbäuerin“, die realistisch die individuellen Mühsalen der Feldarbeit widerspiegeln. Mit dem seit den 1960er Jahren fortschreitenden vollgenossenschaftlichen Landleben erreicht in den 1970er Jahren auch das Thema Landwirtschaft seinen Darstellungszenit mit dem kollektiven Sujet der Pausenbilder der Brigaden, der Arbeitsbesprechungen vor Schichtbeginn, der studentischen Ernteeinsätze, der entschlossenen Feldbaubrigaden, des gigantischen Formationseinsatzes der Mähdrescher, der neuen selbstbewussten dörflichen Erntefeste. Die Ermöglicher der „Schnitzelrepublik DDR“ zeigen sich stolz vor der Staffelei: Die Genossenschaftsbauern gleichen einem neuen Typ des in sich ruhenden und gelassenen Bauern und die Bauern schauen selbstbewusst aus den Bildern, die Bäuerinnen strahlen stolzen Glanz aus, obwohl ihr Alltag sie nur in der Rolle als Melkerin, Schweinezüchterin oder Angehörige der Feldbaubrigade kennt. Diese malerischen Loblieder auf die Segnungen der industriellen Landwirtschaft bekamen in den 1980er Jahren ihren Knacks, als die bäuerliche Originalität in der neuen Landschaft der „wissenschaftlich-industriellen Landnutzung“ verloren zu gehen drohte und auch das Bewusstsein der Landschafts- und Umweltschäden wuchs. Die besten Zeiten der so siegesbewusst Portraitierten waren damit vorbei und ein Modernitätsbruch schien sich anzubahnen, der für die Malerei zur Konfliktfrage wurde: Wie viel Realität ist erlaubt und wie viel Idylle noch vertretbar ? Mit dem Ende der DDR war auch diese Form der Malerei vorbei, denn heute müssten die Bilder marode Großställe, verfallende Industrieanlagen und leer gezogene LPG-Blocks beinhalten: Wer mag das malen ? Wer mag das sehen ? Wie malt man dieses Niedergangsscenario ?

Der gut kommentierte Katalog mit einem Auszug der Beeskower Kunstsammlung ist sehr lesens- und anschauungswert, speichert er doch recht authentisch die verschiedenen Landepochen der DDR Geschichte in den Gesichtern der Gemalten, in dem Malstil der Maler und in den zeitgeschichtlichen Motiven der einzelnen Phasen. Sehr empfehlenswert und deshalb ein Titel unserer BestenListe.

 

Platz 8

Jens Schöne: Frühling auf dem Lande ? Die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft. Christoph Links Verlag, Berlin 2005. (ISBN 978-3-86153-360-3)

Das Buch untersucht die politisch initiierte Entstehung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der DDR im Zeitraum zwischen 1952 und 1960/61. Im Mittelpunkt stehen dabei die zwei entscheidenden Kollektivierungsabschnitte der Jahre 1952/53 und 1960/61, in deren Verlauf insgesamt etwa drei Viertel der einzelbäuerlichen Betriebe in Produktionsgenossenschaften übergeführt wurden, was in Zahlen ausgedrückt heißt, dass von den 850.000 bäuerlichen Betrieben, die zu Beginn der Fünfzigerjahre existierten, am Ende des Jahres 1960 nur noch weniger als 20.000 übrig blieben. Die „LPGisierung der Dörfer“ veränderte das Dorf als Produktions- und Sozialverband fundamental: Die Macht des Bodenbesitzes wurde neutralisiert, die alten ländlichen Eliten ausgetauscht und mit den LPGs wichtige Vergesellschaftungskerne etabliert, die dazu beitrugen die neue politische Macht auch auf dem Lande durchzusetzen. Der eigentliche Kollektivierungsprozess selbst war dabei selbst viel widersprüchlicher verlaufen als bisher vermutet und gestaltete sich als ambivalenter Prozess von Lockerung und Zwang. Für den aktuellen Forschungsstand hat diese Erkenntnis zwei Folgen: Zum einen kann nicht mehr von einer „durchgängigen Kontinuitätslinie“ von der Bodenreform, über die Kollektivierung bis hin zum vollgenossenschaftlichen Dorf ausgegangen werden. Zum anderen war der Kollektivierungsprozess selbst sehr stark von geopolitischen Konstellationen (Rolle und Entscheidungshegemonie der Sowjetmacht), politischen Notwendigkeiten (Scheitern des Neubauernprogramms, Aufstand des 17. Juni 1953 auf dem Lande, Erzeugerkrisen, Fluchtwellen) und kurzfristigen politischen Kurswechseln und Korrekturen geprägt. Dass der Kollektivierungsprozess selbst mehrmals durch fehlende demokratische Legitimation, Ausschaltung agrarwirtschaftlicher Rationalitätskriterien, falsche Taktiken gegenüber den Mittelbauern, den primären Einsatz externer Mobilisierungsbrigaden) in der Krise steckte und kurz vor dem Abbruch stand, arbeitet diese Buch dezidiert heraus und zeigt sich selbst verwundert darüber, dass es - trotz dieser massiven System- und Strategiemängel – im „sozialistischen Frühling“ des Jahres 1960 innerhalb von nur drei Monaten gelang, die verbliebene restliche Hälfte der landwirtschaftlichen Privatbetriebe zu LPGs zusammenzuschließen und damit der politische Kraftakt der Kollektivierung mit der Regierungserklärung am 25. April 1960 wirklich seinen erfolgreichen Abschluss fand, wenn auch zu dem politischen Preis, dass zu diesem Zeitpunkt „das Land kollektiviert war, die Produzenten (noch) nicht“.

Das Buch bereichert durch seine neuen Hintergrundinformationen und Forschungserkenntnisse die politisch immer noch als „Reizthema“ gehandelte Kollektivierungsdebatte der DDR und zeigt sie realitätsnah in ihrer vollen Widersprüchlichkeit. Diese Leistung bringt das Buch in unsere BestenListe, denn es versucht das Thema in seiner detaillierten Untersuchung tiefer als bisher zu ergründen und zeitnah zu dokumentieren.

 

Platz 9

Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (Hrsg.):  Hat der ländliche Raum Zukunft ? Schriftenreihe der Verbraucherzentrale Bundesverband zur Verbraucherpolitik, Band 9. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2006. (ISBN 3-8305-1167-1)

Was hat denn der „Bundesverband der Verbraucherzentralen“ mit dem ländlichen Raum zu tun ? Diese Frage lässt sich leicht mit einem Blick in das Inhaltsverzeichnis dieses Buches beantworten, denn in ihm steht die Studie des „Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung“ zur „Versorgung mit Waren des täglichen Bedarf im ländlichen Raum“ eindeutig im Mittelpunkt. Wichtigste Aussage dieser Untersuchung ist: Die Nahversorgung im ländlichen Raum wird angesichts der Schrumpfungstendenzen vor allem in den kleinen Dörfern zu einem massiven Strukturproblem werden. Während die Klein- und Mittelzentren im ländlichen Raum mit ihren Einkaufszentren der Lebensmittelketten „tendenziell überversorgt“ sind, ist der ländliche Raum in der Fläche „tendenziell unterversorgt“, so dass bereits heute die Sicherung der Mindestversorgung sehr stark von der eigenen Mobilität abhängt

Um diese Kernstudie herum wurden die Beiträge der Tagung „Hat der ländliche Raum Zukunft ?“ (die am 30. Juni 2005 in Berlin stattfand) abgedruckt, die sich mit den Themenfeldern demographischer Wandel, Verbraucherpolitik im ländlichen Raum und Selbst- und Regionalvermarktung beschäftigen.

Dieser neue Blickwinkel der Verbraucherpolitik auf den ländlichen Raum hat uns erwogen, das Buch in unsere BestenListe aufzunehmen.

 

Platz 10

Bernhard Heindl / Sigmar Groeneveld: Gründe - Abgründe. Bäuerliche Landwirtschaft im Sog agrarindustrieller Sachzwänge. StudienVerlag Innsbruck 2006. (ISBN 978-7065-4002-5)

Die beiden Autoren sind seit Jahren als die großen Mahner gegen den „agrar-kulturellen Verfall“ einer menschheitsgeschichtlich so wichtigen Errungenschaft wie den bäuerlichen Landbau bekannt. Für ihren Feldzug gegen die „agrar-industrielle Plattmacherei“ der kleinteiligen Landwirtschaft holen beide Autoren weit aus und beginnen an den Wurzeln zu graben, als Landbau noch die „Urwurzel jeder Kultur“ war und als Synonym für „Kultur“ (als Pflege, Bewahrung und Nachhaltigkeit) schlechthin galt. Die Beschreibung für den von den Autoren attestierten politischen Vernichtungsfeldzug gegen die Agrikultur wird mit einer Vielzahl von Einzelbeispielen belegt, die in ihrer geballten Fülle aber verheerend wirken: Das Buch wird von Seite zu Seite immer schwerer verdaubar. Das was es angibt schützen zu wollen, eine lustvolle Ess- und Agrarkultur, geht hinter einem apokalyptischen Problemberg völlig verloren, würgt beim Lesen. Anstatt Kraft zu sammeln und zum Widerstand zu motivieren produziert es entladende Resignation und einen emotionalen Abstoßungseffekt, der ein Weiterlesen unmöglich macht. Anstelle der Bearbeitung weiterer Argumente bleibt nur noch die Flucht in eine moralisierende Verurteilung übrig. Wenn selbst die für ihre polit-moralisierende Schreibweise so bekannte Marianne Gronemeyer im Vorwort schreibt, dass „dieses Buch zu lesen kein Vergnügen ist“, mag dies als Gradmesser gelten, welche Hürden zu überwinden sind, seine Lektüre wirklich durchzustehen. Das Buch ist also eine echte Herausforderung, das „Leiden unter der agrar-industriellen Bedrohung“ hautnah zu spüren und „nachzuleiden“ und daher rundherum unbequem.

Wir stellen dieses Buch trotzdem in unsere BestenListe, auch wenn wir selbst eingestehen müssen, dass wir es ganz zu lesen selbst nicht durchgestanden haben, weil es uns aus oben genannten Gründen überfordert hat.

 

 

 

 

 

 

Die BESTENLISTE - Nr. I/2007

(Frühjahr 2007)

Platz 1

Kai Hansen: Evangelische Kirche im ländlichen Raum. Ein Rundblick über Geschichte und Gegenwart. EB-Verlag Dr. Brandt, Schenefeld 2005. (ISBN 3-936912-33-5)

Der gestellte Auftrag dieser umfangreichen Arbeit ist es zu untersuchen, wie sich das Verhältnis von evangelischen Kirchen und ländlichen Räumen bis heute entwickelt hat und wie es sich weiter entwickeln kann. Dabei ist der hierbei gewählte Plural bereits eine Vorwegnahme der Forschungsergebnisse, denn sowohl tradierte regionale Unterschiede in der Kirchenlandschaft sowie regional-ausgeprägte Besonderheiten der Raumstrukturen, als auch eine modernisierungsgeschuldete massive Veränderung der ländlichen Lebenswirklichkeit prägen die heutigen ländlichen Räume. Auffallend ist, dass sich das Selbstbild der Landpfarrer und Landpfarrerinnen aber immer noch - in einer beinahe durchgängigen Retrospektive - auf ein traditionelles, bäuerlich geprägtes Dorf mit seiner gemeinschaftlichen Prägung und bescheiden-nachhaltigen Wirtschaftsweise bezieht und von dieser Denkfolie ausgehend das Dorf weiterhin in einem Kanon von Orientierungsbrüchen, Verlusterfahrungen und Verunsicherungen dargestellt wird. Für die heutige Wahrnehmung der Dorfrealität heißt dies, dass in den Köpfen vieler Landpfarrer das alte Dorfbild „echter bäuerlicher Gemeinschaft“ immer noch als „innerer Maßstab“ fortlebt und von diesem Urbild her in protestantisch-traditionalistischer Kulturkritik ein langsamer Niedergang und Werteverfall der ursprünglichen Dorfkultur als „soziale Vermurung“ attestiert wird. Oder anders formuliert: Viele kirchliche Land-Akteure sind in der pluralen Realität der heutigen Dörfer noch nicht angekommen. Die typischen Merkmale des heutigen Soziallebens auf den Dörfern, wie z.B. die enorme Handlungs- und Lebensfreiheiten, die offene überlokale Orientierung, die emanzipatorische Rückstufung des Dorfes auf nur noch einen Teil-Raum des eigenen Lebens, die sehr unterschiedlich ausgeprägten lokalen Lebenswelten und individualisierten Heimaten, werden nicht anerkannt und daher auch nicht als neue Ausgangsbasis und offene Gestaltungschance für die heutige kirchliche Alltagsarbeit gesehen.

Der große Verdienst dieses Buches ist ein doppelter: Zum einen löst es den selbst formulierten Titel „Kirche im ländlichen Raum“ wirklich unter dem umfassenden Aspekt des „ländlichen Raumes“ einmal analytisch tiefgründig und zeitnah zu untersuchen, hervorragend ein. Zum anderen räumt es sehr fundiert mit den ideologischen Trümmern alter Dorfbilder auf und führt die Diskussion damit auf die Höhe der heutigen Zeit nach Vorne, um aus diesem Blickwinkel heraus die neuen Anforderungen an die Dorfkirche und die neuen Perspektiven der Kirche auf dem Lande zu definieren. Diese großartige Pionierleistung verdient besondere Anerkennung, die wir hiermit mit der Platzierung als unsere Nummer 1 der BestenListe zum Ausdruck bringen.

 

Platz 2

Martin Tischler / Michael Stöhr / Markus Lurz / Ludwig Karg: Auf dem Weg zur 100 % Region. Handbuch für eine nachhaltige Energieversorgung von Regionen. B.A.U.M. Consult, München 2006. (ISBN 978-3-00-018741-4)

Die Projekte und der Diskussionstand der Nachhaltigen Regionalentwicklung haben inzwischen eine solche Professionalisierungsstufe erreicht, die sie selbst zu einem Fall der allseits beklagten „Neuen Unübersichtlichkeit“ (Jürgen Habermas) machen. Für die Branche der „Nachhaltigen Energieversorgung von Regionen“ leistet dieses Buch eine wichtige Navigationsfunktion, indem es versucht den hohen fachwissenschaftlichen Diskussionstand wieder „regionalverträglich“ und „bürgernah“ zurückzuvermitteln und damit zur Re-Demokratisierung des Expertenwissens beiträgt. Nur wenn überall in den Regionen neue Akteure von Unten einsteigen und die Hürde zum Selbst-Tätigwerden wieder gesenkt wird, kann das Zukunftsprogramm „Nachhaltiger Regionalentwicklung von Unten“ gelingen. Das Buch liefert dazu einen wichtigen Meilenstein und gehört daher zu Recht in unserer BestenListe.

 

Platz 3

Rainer Brämer: Natur obskur. Wie Jugendliche heute Natur erfahren. oekom Verlag, München 2006. (ISBN 978-3-86581-037-3)

Die Jugendfunktionäre der Naturschutzverbände beklagen das Phänomen bereits seit Jahren: Die heutige Jugendlichen sind immer mehr natur- und außenwelt-entfremdet: Ihr Leben spielt sich – wenn sie nicht gerade auf belebte Glasschirme starren – wohlig geschützt gegen die Unbill der Außenwelt hinter Glasfenstern ab: In Wohnungen, Schulen, Konsum- und Freizeitzentren sowie hinter den Windschutzscheiben der Verkehrsmittel, die diese Lebensinseln miteinander verbinden. Das eigene Zimmer ist über Bild- und Tonleitungen online mit der Außenwelt verbunden und per Versorgungstrakt autonomisiert. 2 Stunden Fernsehkonsum, 3 Stunden PC-Nutzung pro Tag, lassen für Entdeckungen im Freien, Spontanbewegungen draußen und eigenständige Naturaneignung keine Zeit mehr.

Die neue repräsentative Studie aus Nordrhein-Westfalen zeigt auch, dass diese Beobachtungen längst kein Phänomen der Stadt mehr sind, sondern auch auf dem Lande – mit kleinen Abstufungen – sich ebenfalls eine breite Naturentfremdung der Jugendlichen zeigt und damit das Klischee vom „grünen Aufwachsen der Landjugend“ einer gründlichen Revision bedarf.

Für den empirischen Beleg dieser bereits seit längerem unter allen mit der Jugendarbeit auf dem Lande befassten Akteure vermuteten Tendenz gebührt dieser Studie ein fester Platz in unserer BestenListe.

 

Platz 4

Detlef Siegfried: Time is on my side. Konsum und Politik in der westdeutschen Jugendkultur der 60er Jahre. Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Band 41. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. (ISBN 978-3-8353-0073-6)

Wenn von der „Jugendkultur der 1960er Jahre“ die Rede ist, dann wird damit quasi automatisch die großstädtische Jugendkultur jener Jahre und die Studentenbewegung verstanden. Dieser einseitigen Darstellung folgt dieses sehr materialreiche Buch nicht, sondern versucht die Jugendkultur als eine breite Modernisierungsbewegung in den Metropolen und in der Provinz darzustellen, die subkulturell und räumlich viel breiter angelegt war und wirkte und keineswegs nur eine urbane Jugendbewegung war. Eine weltweite Musikkultur, neue Massenmedien, kommerzielle Jugendmoden transportierten die Botschaft des jugendlichen Aufbruchs bis in die tiefste Provinz und schufen überall wie Pilze aus dem Boten schießende Orte der Alternativkultur. Vor allem das Kapitel über die „Jugendzentrumsbewegung“ wird endlich ihrer wahren Ausprägung gerecht, war sie doch nicht nur die am stärksten ausgeprägte „provinzielle Alternativkultur der 1960er und 1970er Jahre“, sondern auch die große Jugendkulturbewegung außerhalb der großen Zentren.

Für alle Leser, die damals in der Provinz aktiv waren oder sich mit dieser Epoche beschäftigen wollen, bietet dieses Buch mit seinen sehr umfangreichen Materialien immer wieder die Anknüpfungspunkte, die Jugendbewegung vor Ort und globale Jugendbewegung verbanden, und erzeugt damit eine zeitnahe Präsenz zum Thema, die bisher keine andere Publikation in dieser Intensität geboten hat. Diese unmittelbare Zeit-Authentizität macht es zu einer echten Empfehlung für unsere BestenListe.

 

Platz 5

Katja Jewski: Stiefkinder des Fortschritts ? Ländliche Jugend und Jugendkultur in Schleswig-Holstein in den 50er Jahren. Peter Lang. Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt/Main 2003. (ISBN 3-631-51502-2)

Während die Fünfziger Jahre in den letzten Jahren in der Jugendforschung wiederentdeckt wurden, ist die Lebensrealität der Landjugendlichen in den 1950er Jahren weiterhin ein Stiefkind der Forschung, bleibt die Jugendkultur der Landjugend in dieser Epoche weiterhin eine klaffende Forschungslücke. Dieses Defizit anzugehen hat sich dieses Buch verschrieben und versucht am Beispiel des Landes Schleswig-Holstein über eine Auswertung der zeitgenössischen Presse (vor allem der Jugend- und Familienseiten des „Bauernblattes“), der Akten des Landesarchivs (Darstellung der Infrastrukturausstattung des ländlichen Freizeitbereichs) und der Daten des Statistischen Landesamtes (Bevölkerungsumschichtungen, Berufsstatistiken, Pendlerbewegungen) eine Rekonstruktion der damaligen Jugendverhältnisse auf dem Lande. Als zusätzliches Quellenmaterial zur Darstellung der Rolle der „organisierten Landjugendfreizeit“ wurde das leider recht unvollständige Archiv des Landjugendverbandes hinzugezogen.

Als Forschungsergebnis präsentiert diese Studie: Der Jugendalltag auf dem Lande war in den 1950er Jahren bezüglich der Bildungsmöglichkeiten, der Ausstattung in der freizeitlichen Infrastruktur, in der Auswahl beruflicher Arbeitsplätze, in der Verfügung über eigene Freizeit und in der Anerkennung einer eigenständigen Jugendphase  – trotz fortschreitender Angleichung von Stadt und Land – eindeutig benachteiligt. Eine Auflockerung der Dörfer – deren sichtbares Zeichen die neuen Einfamilienhäuser am Dorfrand sind – fand schwerpunktmäßig erst in den 1960er Jahren statt. Bei den Jugendlichen selbst lässt sich eine Strategie der „integrierten Jugendkultur“ feststellen, d.h. die Jugendlichen waren im Dorfalltag darum bemüht in der Freizeitgestaltung und im Zusammensein mit Gleichaltrigen eine eigene Jugendkultur zu bilden, aber diese ins Dorf einzubetten, sich also nicht von der Dorfgemeinschaft auszulösen. Das „ländliche Element“ wurde weiterhin betont und im Spagat zwischen Traditionspflege und Freizeitkultur, quasi als „jugendkultureller Raum mit dörflicher Rückbindung“ zu leben versucht.

Die These, dass Landjugendliche keinerlei Bezug zu den spektakulären Erscheinungen der neuen Jugendkultur der 1950er Jahren wie der „Halbstarken-Bewegung“ hatten, weil ihre Strategie nicht auf subkulturelle Abgrenzung zielte und die allseitige dörfliche Sozialkontrolle und fehlende subkulturelle Traditionen auf dem Lande dies verhinderten, ist angesichts der herangezogenen Quellenlage (Mehrheitlich Berichte des Bauernverbandes) und der Eingrenzung der Landjugend auf die „reine Dorfjugend“ zumindest hinterfragbar. Nach vielen Schilderungen von Aktivisten aus der Studentenbewegung, die in den 1950er Jahren auf dem Lande aufgewachsen waren, gab es doch eine „verdeckte subkulturelle Strömung“, die aber nur über Zeitzeugenbefragungen und sicher nicht über das gefilterte Wahrnehmungsbild des Bauernverbandes erschließbar wäre.

Trotz dieser quellenbedingten Einschränkungen leistet dieser Veröffentlichung Pionierarbeit in der Erforschung der Landjugendrealität seit 1945 indem es die Forschungslücke der „1950er Jahre“ offensiv angeht. Für diese Leistung wird sie durch ihre Platzierung in unserer BestenListe gewürdigt.

 

Platz 6

Michael Emsbach (Hrsg.): Mädchen im Dorf. Sozialpsychologische Untersuchungen zu ihren Lebenslagen und ihrem eigenen Engagement. Shaker Verlag, Aachen 2007. (ISBN 978-3-8322-5944-0)

In dieser vom Institut für Psychologie der Universität Flensburg betreuten Studie wird anhand von 22 Fallstudien (die in der Hauptsache von Studentinnen, die selbst auf dem Lande aufgewachsen sind, verfasst wurden), das heutige „Mädchenleben auf dem Dorf“ (in einem ersten Teil) als das „Verhältnis“ zu ihren Eltern, Großeltern, Geschwistern, anderen Mädchen und Jungen, ihrer Mobilität, ihrer Ernährung und ihrem Medienkonsum beschrieben und (in einem zweiten Teil) die „selbstgewählten Aktivitäten“ in Jugendorganisationen, im Sport, in der Musik, in unterschiedlichen Ehrenämtern, in Schule und Ausbildung und in der Entscheidung für ein eigenes Kind, untersucht. Als Basisquelle für diese Erhebung dienten narrative Interviews, Befragungen durch strukturierte Interviews und standardisierte Fragebögen. Alle Fallstudien folgen der gleichen Gliederung: Rezeption des aktuellen Literaturstandes, Darstellung des Befragungsansatzes, Dokumentation der Befragungen, Auswertung der Befragungen, Zusammenfassung der Ergebnisse.

Der „sozialpsychologische Ansatz“ geht - im Gegensatz zu „sozialräumlichen Analyseansätzen“ – von einer „vermittelten Landwahrnehmung“ aus, d.h. der ländliche Kontext wird lediglich im Hintergrund als ein Folienmerkmal gleichen Geschlechts, gleichen Lebensalters und ländlicher Regionalitätsmuster definiert, ist selbst aber nicht ein Teil der Befragung: Es wurde also nicht unmittelbar das Verhältnis der Mädchen zum Dorf erfragt, sondern hauptsächlich ihr soziales Umfeld und ihre konkreten Lebenswelten erforscht. Trotzdem taucht in der Fülle des dokumentierten Materials das Dorf und seine spezielle Lebenswelt immer wieder als besonderer Lebenstypus auf. Deutliche Veränderungen in den heutigen Lebenslagen von Mädchen zeigen sich in ihrer breiten Mobilität, in ihren neuen Möglichkeiten zur selbständigen Informationsgewinnung und in ihrer breiten Orientierung zum Erwerb einer eigenständigen Lebensgrundlage durch die Erlernung eines eigenen Berufes.

Diese Studie zeigt auf, dass sich das Alltagsleben von Mädchen auf dem Dorf in den letzten zwei Jahrzehnten wohl am rasantesten gewandelt wofür z. B. der Anstieg des Mädchenanteils bei der Jugendfeuerwehr von 1985 bis 2005 von Null auf 50 % ein deutliches Indiz unter vielen ist, und sie macht deutlich, dass der rapide Wandel von den Mädchen selbst als sehr ambivalent erlebt wird: Als mehr Spielraum zur eigenen Selbstbestimmung, aber auch als ein größerer Modernisierungsstress mit den erweiterten Anforderungen (Pendeln, Bildung, Berufsausbildung, Familien- und Gesellschaftsrollen) klar zu kommen.

Der betroffenennahe, lebensweltorientierte Befragungsansatz - den man ja beinahe als „mädchengerechten Forschungsansatz“ ansehen könnte - hat den hier eröffneten Einblick in diesen Binnenwandel so erst möglich gemacht und uns veranlasst, das Buch für unsere BestenListe zu nominieren.

 

Platz 7

Leonore Scholze-Irrlitz (Hrsg.): Aufbruch im Umbruch. Das Dorf Brodowin zwischen Ökologie und Ökononie. Berliner Blätter Ethnographische und ethnologische Beiträge. 40/2006 Sonderheft. LiT Verlag, Münster 2006. (ISBN 3-8258-0005-9)

Die „Feldforschung“ gehört zu den klassischen Forschungsmethoden der Ethnographie und ist in diesem Fall einer Felduntersuchung des Brandenburger Ökodorfes Brodowin sehr gut gelungen. Auf der Basis von Befragungen, teilnehmender Beobachtung und Literaturrecherche haben die Studenten eine für ein Feldprojekt (das Studienprojekt dauerte von 2003 bis 2005) bemerkenswerte Arbeit zur Portraitierung des Öko-Dorfes vorgelegt: Die Arbeitslosen von Brodowin, die Lebenssituation von Frauen nach der Wende, die Jugend im Dorf, die Umbruchprozesse innerhalb der Dorfgesellschaft, aber auch der neue Brodowiner Weg zwischen Biohöfen und sanftem Tourismus, werden in den vorliegenden Fachaufsätzen sehr anschaulich geschildert.

Die hier vorliegende Publikation kann durchaus als Musterbeispiel für andere Feldstudien ortsnahen Lernens und projektbezogenen Arbeitens gelten und wurde deshalb in unsere BestenListe aufgenommen.

 

Platz 8

Paul Sauer: Wolfsölden. Jugend in einem schwäbischen Bauerndorf. Silberburg-Verlag, Tübingen 2007. (ISBN 978-87407-738-5)

Das Buch beschreibt schwerpunktmäßig eine Dorfkindheit während der Jahre 1933 – 1945 aus dem Blickwinkel eines damals 2 – 14 Jährigen. Es schildert - neben vielen Familiengeschichten - den alltäglichen Überlebenskampf „kleiner Leute“ im damaligen Dorf, aber auch das unbeschwerte Spielen der Kinder und Jugendlichen im Dorf und in der Natur. Die vergleichsweise heile Welt wird aber keineswegs idyllisiert, sondern die Schrecken dieser Epoche werden – sofern sie aus Kindersicht wahrgenommen wurden – ohne Beschönigung (auch ohne Revision der kindlichen Militärfaszination und Kriegsbegeisterung) wahrheitsgetreu wiedergegeben. Im Mittelpunkt dieser Jugenderinnerungen stehen aber nicht die großen geschichtlichen Ereignisse, sondern die Alltagsbeschreibungen der Plackerei in der Kleinlandwirtschaft, der Überlebenskunst, täglich ein schmackhaftes Essen auf den Tisch zu zaubern, der beschwerlichen Wege über unbefestigte Feldwege, aber auch der wohligen Wärme eines Ziegenstalls, des Kinderhöhepunkts des jährlichen Schlachtfestes und der Krönung des Kindheitsabschlusses: die als Essen ohne Grenzen erlebte Konfirmationsfeier.

Eine wichtige Rolle aus der Sicht eines Jugendlichen nehmen auch die persönlichkeitsprägenden Vorbildspersonen (hier vor allem der Ortspfarrer), die zu Förderern der eigenen Ideen und Begabungen wurden, ein. In der engen Welt des Dorfes waren diese die Personen Leuchttürme für ein „Mehr“, für eine größere Welt hinter den sichtbaren Bergen.

Das Buch steht für eine Landkindheit, die so oder so ähnlich wohl in vielen Dörfern Süddeutschlands erlebt wurde und es schafft - dank der geschichtlichen Hintergrundkenntnisse und guten Erinnerungsgabe des Autors - den Spagat detaillierte Alltagsbeobachtungen und gesamtgesellschaftliche Abläufe miteinander zu verweben und somit das damalige Dorfleben in allen seinen Facetten und Widersprüchen sehr anschaulich wiederzugeben. Diese Leistung hebt es wohltuend von den vielen oft die heile Dorfwelt verklärenden oder in Familiendetails untergehenden Monographien ab und hat dazu geführt, dass dieses Buch einen Platz in unserer BestenListe verdient.

 

Platz 9

Ludger Kolhoff / Peter-Ulrich Wendt / Iris Bode (Hrsg.): Regionale Jugendarbeit. Wege in die Zukunft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006. (ISBN 978-3-531-14949-3)

Immer mehr Jugendliche bewegen sich in ihrem Lebensalltag nicht mehr an einem konkreten Ort, sondern haben die Region zu ihrer Aneignungs- und Lebenswelt auserkoren. Das Phänomen ist seit der Binnenmodernisierung der Lebensräume in Stadt und Land seit Mitte der 1980er Jahre bekannt. Die Jugendarbeit widmet sich aber erst jetzt diesem Trend und thematisiert in diesem Sammelband (der eine Dokumentation der Fachtagung „Jugend in der Region“ vom 6. - 8. April 2005 in Wolfsburg darstellt) das neu-entdeckte Phänomen der „Regionalen Jugendarbeit“ in ihrer angesagten Aktualität, ihrer regionalen und strukturellen Vielfalt und in ihrer zukünftigen Perspektive.

Als einen erster Einstieg zum Thema bietet es eine Fülle von Überlegungen und Anregungen zur Weiterdiskussion und konzeptionellen Weiterentwicklung, auch wenn der Begriff der „Regionalen Jugendarbeit“ noch recht unscharf gefasst ist und hauptsächlich noch als „Arbeitsbegriff“ zu verstehen ist. Was die Perspektive einer „Regionalen Jugendarbeit“ für ländliche Räume in der Perspektive regionale Schrumpfung und erhöhter regionaler Mobilität von Jugendlichen heißen kann, wird in weiteren Untersuchungen noch zu eruieren sein. Sein Status als „Pionierbuch“ zum Einstieg in das Thema „Regionale Jugendarbeit“ beschert ihm einen Platz in unserer BestenListe.

 

Platz 10

Patricia Felber Rufer: Landschaftsveränderung in der Wahrnehmung und Bewertung der Bevölkerung. Eine qualitative Studie in vier Schweizer Gemeinden. Herausgeben von der Eidgenossenschaftlichen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Birmensdorf 2006. (ISBN 30-905621-30-4)
Direktbezug: Bibliothek WSL, Züricher Straße 111, CH-8903 Birmensdorf.

Untersuchungen über „Landschaft“ sind der Dauerbrenner der Stadt- und Regionalplanung, bietet doch „Landschaft“ eine wunderbare Modelliermasse zur kulturästhetischen und kulturtheoretischen Ausgestaltung. Dieses offene Verhältnis von Landschaftsbetrachter und Landschaftswahrnehmung funktioniert in dieser Studie nicht mehr, denn mit der Bevölkerung als Landschaftsnutzer und –bewerter, ist quasi ein „dritter Faktor“ als „potenzieller Spielverderber“ mit im Spiel. Und diese Studie hat dieses neue Spiel offensiv aufgenommen und die Bürger als „Experten für Landschaft“ in der Erinnerung und in der Beurteilung der Veränderung, in der Bewertung der Veränderungsgeschwindigkeit und in der Veränderungsmöglichkeit befragt. Herausgekommen ist eine Methode „humangeographischer Landschaftsforschung“, die Landschaft aus dem Blickwinkel „individual-kontemplativer Betrachtung“ herausholt und in den Kontext „gesellschaftlicher Landschaftswahrnehmung“ stellt. Ein wirklich beeindruckendes und überzeugendes Experiment, das uns veranlasst hat, dieses Studie in unsere BestenListe aufzunehmen.

 

 

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